Iraklion: Minoa updated

Minoa Stierspringer
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Nationalmuseum Iraklion. Aus spärlichen Resten „ergänztes“ Wandbild (eines Stierspringers). Ist schon grenzwertig, diese „archäologische“ Bastelei …
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Nicht auf alle Fragen eine Antwort haben wollen, keine Schlüsse ziehen, die nicht vollständig begründet sind, keine Beweise erfinden, das sind für mich drei wichtige „Gebote“ für Archäologen. (Gilt auch für Tatort-Kommissare … 🙂 …)
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Das galt nie für Arthur Evans, Sohn eines reichen Vaters und Hobby-Archäologe, der im Jahr 1900 mit den Ausgrabungen im Palast von Knossos begonnen hatte. Evans hatte kurz vorher das gesamte Gelände den Türken abgekauft, als sie die Regierungsgewalt abgeben mußten. 1886 hatte bereits Heinrich Schliemann versucht, den Hügel zu kaufen, der Kauf war aber an zu hohen Forderungen des Geländebesitzers gescheitert. Die Existenz der Stadt Knossos und ihr enormes Alter – das der hellenischen Antike weit vorausging – war lange bekannt, bereits 1878 wurde vereinzelte Grabungen durchgeführt.
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Evans hatte das Riesenglück, auf seinem erworbenen Spielplatz an der richtigen Stelle zu graben. Er fand den Palast von Knossos. Leider hatte er auch eine Riesenphantasie, die er mit seinen Architekten und Malern auch prompt umsetzte. Es entstand ein „archäologisches Disneyland“ (Fohrer), wo aus spärlichen Resten riesige Wandbilder neu entstanden, wo ab 1920 mit Stahlbeton Räume neu errichtet wurden. Es reichten ein paar Bruchstücke, um im Analogschluß („Das sieht woanders doch auch so aus!“) Skulpturen, Gefäße, architektonische Anlagen neu zu schaffen.
Ein erstes Beispiel im Museum ist der berühmte Stierkopf:
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Minoa Stierkopf
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Original ist nur der halbe Kopf (links), neu ist die andere Hälfte und die beiden Hörner.
Diese „Ergänzung“ geht für mich zu weit.

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Leider ist die Restaurierungswut auch an anderen Exponaten im Archäologischen Museum der Stadt Iraklion deutlich spürbar. Trotzdem sollten Sie einen Besuch des Museums (dessen Ausstellung gerade neu geordnet wurde) um Himmels Willen nicht verpassen.
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Es war der 13. Januar, ein sonniger Vorfrühlingstag, und ich mußte mich schon ein wenig zwingen, das Haus zu betreten, statt durch die Stadt zu streunen. Das Museum war im Winterbetrieb (Shop und Café geschlossen, keine Führungen, Obergeschoß nur teilweise geöffnet), aber man konnte nach dem Besuch im Museumsgarten in der Sonne sitzen.
Das Erdgeschoß des schlicht-funktionalen Gebäudes widmet sich ausschließlich der Minoerzeit (ja, das war so vor 3.500 Jahren!). Die Exponate stammen nicht nur aus Knossos, sondern von verschiedenen anderen Orten und Palästen auf der Insel.
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Spätestens im dritten Raum war meine erste Skepsis verschwunden, die Sonne vergessen. Die Selbstdarstellung der Minoer ist oft amüsant, gut, manchmal auch unfreiwillig komisch. Hier hatte ich zum ersten Mal die Kamera aus der Tasche genommen:
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Minoa Zweitbestattung
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Minoa BestattungEs handelt sich beim Fund um eine „Zweitbestattung“! Schädel und Knochenreste wurde vor 3500 Jahren dem Originalgrab entnommen und in dieses Tongefäß gelegt.
Auch die Erstbestattungen (links) wurden in Tongefäßen vorgenommen. Die Toten wurde gewissermaßen zusammengefaltet, damit sie in den Behälter paßten.
(Erinnert an die Kindergräber auf Astypalaia!)
Allerdings gibt es auch regelrechte Sarkophage, in denen aber auch niemand ausgestreckt beerdigt werden konnte.
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Manche der Sarkophage sehen aus wie Säuglingsbadewannen. Rechts im Hintergrund – in der Glasvitrine – der berühmte bemalte Steinsarkophag aus Agia Triada:
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Minoa Sarkophag
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Offenbar hatten die Minoer Humor. Und sie spielten gerne. Das hier sieht auf den ersten Blick aus wie ein petrifiziertes Badehandtuch, ist aber ein Spielbrett für ein Gesellschaftsspiel.
Fragen Sie mich nicht nach den hier „ergänzten“ Bestandteilen …
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Minoa Spielbrett
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… oder nach den ergänzten Bestandteilen an diesem Raubtierkopf:
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Minoa Raubtierkopf
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Das Stück zwischen Maul und Ohr sieht nach einer Ergänzung aus. Zum Glück wurden keine Glasaugen eingesetzt, keine Micky-Maus-Nase, und auch die Ohren sind nicht nachgewachsen. Ist für mich eins der schönsten Exponate im Haus!
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Und nicht vergessen: Die Minoer wußten um die Wirkung von Opiaten. Mohnkapseln findet man oft am Kopfschmuck solcher Kultidole:
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Minoa Opiate Kultidole
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Sehen sie nicht glücklich und schön weggetreten aus, diese Figuren? Und sehen die Füßchen, die unter den langen Röcken hervorschauen, nicht putzig aus? Ich stand vor der Vitrine und mußte meinen Lachanfall unterdrücken. Die Saalaufsicht, die auf ihrem Stühlchen vor sich hin döste, war schon zusammengezuckt …
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Aber unsere Zeit eifert das mit den „Neuschöpfungen“ auch nach. Nur geht man nicht, wie Arthur Evans, an das Original. Hier haben wir eins der berühmten Fresken im Obergeschoß des Hauses, an denen manchmal fast nichts echt ist:
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Minoa Fresko
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Die Damen auf den antiken Bildern haben die Nachwelt immer fasziniert. Zu Arthur Evans Zeiten hatte jemand gesagt, die Damen sähen ja aus wie die Pariserinnen der Belle Epoque! Und 1941 (als die Nazis die Insel Kreta überfielen), gab die griechische Regierung noch diesen 5-Drachmen-Schein heraus:
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5 Drachmen Schein 1941
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Und heute? Gerade wurden die Neuzugänge der Museumsshops der griechischen Museen in den Medien vorgestellt. Und was haben wir da? Die elegante Pariserin aus Knossos (war eine Priesterin) verwandelt sich in eine Einkaufstasche.
Katharina wird beim nächsten Museumsbesuch bestimmt zugreifen … 🙂 …:
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Minoa Tasche
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Und die Schlangengöttin (auch aus Knossos) …
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Minoa Schlangengöttin
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… die wird zur Kaffeetasse und zur Tischdecke. Hübsch. Der Kitsch würde im zeitshop gut verkauft werden. Muß nur teuer genug sein:
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Minoa Kitsch
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Was werden die Archäologen, die 3500 Jahre nach uns leben, denken, wenn sie so etwas finden (ich hoffe, die Tasse ist rostfrei …)? Aber was bleibt überhaupt von den Gefäßen, die wir heute nutzen? Was wir vom (Super)Markt nach Hause tragen, wird ja nicht mehr in solch edle Gefäße gefüllt, wie vor 3500 Jahren:
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Minoa Tongefäß
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ZiegenmilchNein, bei uns wird zwar alles verpackt und eingewickelt und konserviert, aber das Material der Behälter hält sich ja nicht lange (eine Plastiktüte nur 400 Jahre …). Angenommen, da würde dieses „Kultgefäß“ mit der Abbildung einer Ziege gefunden. Und ‚Gala Katzikisio‘ steht drauf. Welchem Gott haben unsere Zeitgenossen wohl den Inhalt geopfert, könnte dann irgendwann spekuliert werden.
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Aber zurück aus der Zukunft. An die aus Edelmetall gefertigten Stücke ist Arthur Evans ja nicht manipulierend rangegangen. Da haben wir zum Beispiel diese Tasse aus Goldblech (aus der auch Ziegenmilch gut schmecken würde):
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Minoa Goldblech Tasse
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Obwohl, bei diesem Schwert wundert man sich schon fast, daß da in Arthur Evans‘ Auftrag in Solingen (oder Damaskus) nicht eine neue Klinge zur „Ergänzung“ gefertigt wurde:
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Minoa Schwertgriff
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Minoa Helm WildschweinEs wurde kürzlich in einem Forum darüber diskutiert, ob es auf Kreta überhaupt Wildschweine gibt. Gibt es. Auch vor 3500 Jahren gab es welche. Dieser edle antike Lederhelm ist mit Wildschweinhauern verziert. Und die wurden sicher nicht von Gallien nach Kreta importiert.
Wenn Obelix den Helm zur Wildschweinjagd hätte tragen können, was hätte er sich gefreut! Aber Obelix lebte ja erst zu Cäsars Zeiten, so 1500 Jahre nach den Minoern …
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One comment

  1. Ich bin nicht der einzige, der Arthur Evans und seinen damaligen Kollegen mißtraut. Noch ein paar Tage (bis zum 21.03.2016) bei arte+7:
    http://www.arte.tv/guide/de/057844-000-A/das-geheimnis-von-phaistos?autoplay=1

    Es geht in der Sendung nicht nur um die mögliche Fälschung des (bisher nicht entzifferten) Diskos. Es geht um das Prinzip der Archäologie, und darum, daß auch manche Wissenschafter den Wunsch nach Ruhm und Geld haben. arte kommentiert die Sendung so:

    Der nordamerikanische Kunsthändler Jerome Eisenberg hält den “Diskos von Phaistos” für eine Fälschung. Im Museum von Heraklion wird diese Scheibe aus gebranntem Ton als Highlight der Sammlung aus dem Reich des legendären Königs Minos präsentiert.

    1908 wurde der Diskos von dem italienischen Archäologen Luigi Pernier entdeckt. Der britische Sprachwissenschaftler Gareth Owens ist sicher, den Diskos bald entziffern zu können und glaubt an seine Echtheit.

    Doch in New York beharrt Jerome Eisenberg weiterhin auf seine Erkenntnis, der Diskos-Text sei überhaupt nicht zu enträtseln. Mit kriminalistischem Gespür entwirft Eisenberg eine beeindruckende Indizienkette: Luigi Pernier soll die Tonscheibe aus Geltungssucht selbst geschaffen haben. Eisenberg bezichtigt den Schweizer Emile Gilliéron – in seiner Zeit unerreichter Großmeister der Rekonstruktionen und Reproduktionen – als Perniers Komplizen. Aber inzwischen verdächtigen sogar renommierte Archäologieprofessoren wie der Kanadier Alexander McGillivray Gilliéron der kriminellen Machenschaften.

    Die Direktorin des Museums von Heraklion wehrt sich seit langem gegen eine Materialuntersuchung, obwohl inzwischen beschädigungsfreie Analysemethoden zur Verfügung stehen. Ohne eine solche Untersuchung bleibt der Verdacht unwiderlegt, dass Millionen Museumsbesucher bewusst getäuscht werden.

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