Ist es einen Umweg wert? Teil 2

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Sitia. Hat uns fast eine Woche beherbergt. Es habe seinen Charme eingebüßt und sei nur noch eine ordinäre Kleinstadt, wurde schon vor 30 Jahren gesagt. Wir haben außerhalb gewohnt, in Petras, 71 Stufen hoch, ruhig und geräumig, mit Panorama-Blick.
Wir haben die Stadt eigentlich nur abends wahrgenommen, und da interessierte uns nur die Hafenzeile und ihre Lokale. Am Hafen gab es sogar einen richtigen Weihnachtsmarkt, nicht nur eine Krippe, wie in anderen Orten auf Kreta … 🙂 …!
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Zwei lohnende Umwege gab es in der Stadt. Ein Stückchen hügelaufwärts zum „Krema Karamel“ für süße und herzhafte Kunstwerke aus dem Backofen …
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… und zur Taverne Fengaropsaro (φεγγαροψαρο = Mondfisch) am äußersten südlichen Ende der Hafenzeile:
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img_8970_a400_sitiamondfischKatharinas Forschungsgeist hatte den schlicht-gemütlichen Laden entdeckt. Enorm freundliche, aber völlig unaufdringliche Bewirtung, ein gemütlicher Holzofen, ruhig plaudernde Stammgäste, empfehlenswertes Essen (das teilweise auch nicht auf der Karte steht).
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Und wenn der Wirt meint, unsere kalorienarme Auswahl von Suppe und Salat könne doch für einen erwachsenen Menschen nicht ausreichen, dann bringt er noch was Sättigendes extra, aufs Haus natürlich.
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Aber nicht nur in Sitia ist der Geist der alten (und ärmlichen) Zeit oft vergangen. Wer kann es den Kretern auch verdenken. Die Natursteinhäuser verschwinden überall, Beton und Aluminium herrscht. Hier die Platia von Chandras im Inselinneren …
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… ein Kafeneion (offen), ein Minimarkt (offen), eine Weihnachtskrippe und ein Folklore-Museum (geschlossen). Und über den Dorfplatz hallt ein großes Gähnen … 🙂 …!
Malerisch wirken die alten Bergdörfer natürlich, wenn man sie aus einiger Entfernung sieht. Das ist Chametoulo:
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Und der Reisende staunt und hält an. Für einen kurzen „Foto-Stop“. Aber … möchten Sie jung sein, arbeitslos, und hier ansässig?
Das fast verlassene Dorf Chametoulo liegt im Abseits, an der serpentinenreichen Straße von Ziros nach Xerókambos. Hier unten am Wasser ist man im Sommer nicht unbedingt arbeitslos, denn der Individualtourismus hat die Strände an der Lagune entdeckt (Paralia Abelou), genau wie die Bucht von Amatou:
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Die Bucht von Ambelos und die Inselchen Anavatis, Kefali und Kavalos.
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Da streunt man entspannt über den wintersonnenbeschienenen Strand und hofft, daß der Ort nicht als … hust … „Geheimtipp“ die Runde macht. Im Hochsommer sind hier allerdings schon die Sonnenschirme aufgereiht.
Und die Lagune hat ein ebenso großes Potential …
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… ist aber im Winter mit einem normalen Auto schlecht zugänglich. Hier im Schlamm möchte man nicht steckenbleiben. Erste Frühlingsblumen leuchten auf den Wiesen, und bald kommen die Zugvögel aus Afrika, die sich im flachen Wasser ein paar Tage lang etwas Ruhe gönnen.
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img_8935_a400_xerokaboscretasunAber – wenn man nicht als Kranich oder Flamingo unterwegs ist – der Weg hierher ist ganz schön mühselig. Aber auch hier ist man im Winter auf Gäste vorbereitet. (Schließlich sind auch einige auswärtige Handwerker aktiv für die nächste Saison …)
Eine Taverne in Xerokambos freut sich auf unseren Besuch – auf der leeren Sonnenterrasse trocknen jetzt nur die leeren Olivensäcke, aber die Küche serviert ein ganz hervorragendes, gekochtes (nicht nur gegrilltes!) Essen. Ich vermeide sonst, pastitio zu bestellen (gewöhnlich fade und zehnmal aufgewärmt), aber hier kommt es frisch und gut gewürzt aus dem Backofen! Und Katharinas Reis-Eintopf mit Spinat hätte ich noch hinterher essen können! Vorher Maroulli-Salat – schmeckt wie gerade im Garten gepflückt.
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img_8897_a400_voilaZurück zu den Orten, an denen Sie niemand mehr bewirtet. Da ist Voilá, ein im Mittelalter von einer venezianischen Familie gegründetes Dorf, das um einen befestigten Turm angesiedelt ist (solche Türme kennen Sie von Naxos). Der Dorfbrunnen läuft immer noch. Umliegend viele Weingärten, die zentnerweise Sultaninen hervorbringen, und die üblichen Windräder.
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img_8896_a400_voilaAber an die alte Zeit erinnert hier fast nichts mehr. Das Dorf ist restlos ausgeschlachtet. Wände aus grob behauenen Steinen sind geblieben. An ein paar Stellen lassen noch Ornamente den früheren Reichtum der Bewohner erkennen.
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Die Griechen erhalten noch (ja, so einigermaßen) die Kirche am Rand des Dorfes:
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Die Kirche auf dem Hügel ist sogar  nicht einmal versperrt. Hier konnte Katharina ihre Kerzen spenden. Sie war gar nicht drauf vorbereitet. Das Spendengeld mußte sie also erstmal aus dem Auto holen.
Aber diese Extramühe bringt später einen Erlaß von sieben Jahren Fegefeuer, wenigstens:
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Es ist noch mehr vom venezianischen Erbe Kretas erhalten. Allerdings überall nur in kleiner Dosis. Im in Ruinen liegenden und völlig verlassenen Dorf Etiá pflegt man heute den Palast der Adelsfamilie Di Mezzo als Nationaldokument. Nur das untere Geschoß steht noch. Rein darf man nicht, auch nicht im Sommer.
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Die beiden Dorfkirchen sind auch nicht mehr auf Besucher eingestellt:
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img_8936_a400_monikapsaTeilweise zugänglich sind die größeren Klöster im Insel-Osten.
Etwa Moni Kapsa.
Bewohnt von Katzenkindern, einer (angeblich recht unfreundlichen) Nonne und einem älteren (nachweislich recht freundlichen) Mönch, der für die Landwirtschaft zuständig ist.
Ich sitze vor der Tür und denke über die Steuerpflicht der orthodoxen Kirche nach (die ihre Einnahmen steuerlich selbst veranlagt, was staatlich niemand nachprüfen muß) und über die landesüblichen Steuerermäßigungen für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge. Ein Garten mit Hühnerstall und sechs Ziegen reichen, um aus einem Kloster einen steuerbegünstigten Bauernhof zu machen.
Da erhöht der Staat zum Ausgleich doch lieber die Verbrauchssteuern (MWSt. jetzt 24%) und senkt die Renten und Mindestlöhne.
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Das waren jetzt genug Umwege … nein, doch nicht! Wenn Sie auf der Insel wirklich ganz ganz viele Umwege machen wollen, dann müssen Sie im Einbahnstraßen-System einer kretischen Stadt bloß mal einen Parkplatz suchen:
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Übrigens, „idiotiko parking“ (im Bild unten rechts) heißt „Privatparkplatz“, nicht „Parkplatz für Idioten“. Obwohl ein Idiot es hier geschafft hat, gleich fünf andere Autos zu blockieren …
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Und den auf Kreta produzierten Titakis-Retsina (Foto ganz oben, die “umweltfreundliche”  0,5-Liter-PET-Flasche) …
http://titakis.gr/en/wine-type/retsina/
… kriegt man auch im 20-Liter-Behälter. Dürfen Sie natürlich nicht im Handgepäck Richtung Germania mitführen …
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Iraklio. Sonntag. Abflug. Ich bin zuerst dran, mit Umsteigen in Athen (kein richtiger Umweg). Dann mal jassou, Kriti, bis auf weiteres! (Foto: Katharina R.)
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Am Ende dieser Tour kam die Frage: Fandest du nun Ostkreta oder Westkreta besser?
Hm. Wären wir hier bei facebook, könnte ich Ihnen (wenn Sie Kreta kennen) die Frage auch stellen. Sie müßten Ihr Urteil weder ausformulieren noch begründen. Eine Facebook-Meinung (ein “Like”) ist weniger als eine Tüte Wind …
Ich spekuliere mal: Der Osten hätte vielleicht nur dann eine Sieges-Chance, wenn er sich die Zustimmung erkaufen würde:
http://likeskaufen.eu/de/
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> WEITER MIT: DIE LASSITHI-HOCHEBENE, 12.01.2017
> WEITER MIT: ZUR KATHARO-HOCHEBENE, 1. VERSUCH
> WEITER MIT: ZUR KATHARO-HOCHEBENE, 2. VERSUCH
> WEITER MIT: IM WINTERSCHLAF – DAS VENEZIANISCHE ERBE
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4 comments

  1. Was den Vergleich von Kretas Osten und Kretas Westen angeht: Am 12.02.2017 lief im WDR der Dokumentarfilm “Zeus, Raki und Sirtaki”.
    Diese Dokufilmserie nennt sich “Wunderschön”, und stellt die Welt so wunderschön dar, daß es wehtut.
    Der Film dauerte 1 Stunde 28 Minuten. 10 Minuten davon beschäftigten sich mit Orten östlich von Iraklio. 78 Minuten lang ging es um den Westen.
    http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/wunderschoen/video-kreta—zeus-raki-und-sirtaki-100.html
    Kein Kommentar.
    Aber in diese 10 Minuten wurde der Satz eingeblendet:
    “Agios Nikolaos ist das St. Tropez Kretas”.
    Hä?
    Auch hier: Kein Kommentar.

  2. Bei der Erstausstrahlung damals hast du gesagt, das du solche Werbefilme nicht guckst.

    Und St. Tropez ist offenbar auch nicht mehr das, was es mal war.

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