Zweimal Raki für den Weltfrieden

Karpathos Agios Konstantinos
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Ich bin unterwegs auf dem Weg von Diafani nach Olymbos, an der die Ruine der Kapelle des Aghios Konstantinos liegt (oben). Ich bin erst um elf Uhr gestartet, und hatte ausgiebig auf der Terrasse des Glaros gefrühstückt. Denn gestern abend hatte ich gar nichts gegessen. Da war mir nämlich beim Warten aufs Essen der Kragen geplatzt. Daran waren nicht nur Koch und Kellner schuld. Es hatten sich verschiedene unklare Dinge in mir aufgeladen, und gestern war der innere Frustrationsstand überhoch. Ausgerechnet Michalis hatte also mein Zorn getroffen, dabei hätte es der Wirt in Arkasa, der uns seine zu Holzkohle verbrannten Fleisch- und Knochenreste als „Grillteller“ verkauft hatte, zehnmal eher verdient gehabt.
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Niemand kocht mit mehr Liebe und Hingabe als Popi und Michalis, und mit den besten lokalen Zutaten obendrein. Aber beide sind im Mai noch nicht auf den Sommerhochbetrieb eingestellt, und gestern war es plötzlich voll im Corali. Nachdem Popi unsere Bestellung notiert hatte (Vorspeise-Auswahl für drei, fünf Hauptgerichte), kamen plötzlich drei größere Gruppen und mehrere andere Gäste. Und alle, ja alle bestellten später als wir … und wurden vor uns bedient. Nach Katharinas erster Ermahnung an die Küche kamen nach einer Stunde (!) unsere Vorspeisen. Nach 90 Minuten (!) sind vier der fünf Hauptgerichte serviert. Ich gehe in die Küche und frage nach meiner Portion. Popi starrt mich irritiert an. Brissolla, für mich …? Sie hatte völlig vergessen, das aufzuschreiben.
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Das war der Funke, der die Explosion auslöste. Jetzt kann ich überhaupt nichts mehr essen. Es kommt ein Liter Gratis-Wein, eine Mezedesplatte für mich (mit der ich Popi gleich zurückschicke, ich will nicht mehr), es kommt der Kuchenteller, aber Streß und Ärger hat mir voll auf den Magen geschlagen. Und dazu gewinnen gerade auch noch die Bayern das Pokalendspiel, in der Verlängerung …
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Karpathos BayernStraße in Pigadia. Ja, die Bayern haben offensichtlich sogar Fans auf Karpathos. Beim Champions-League-Finale 2012 hielten jedoch alle Griechen im Lokal zu Chelsea.
Nur Pigadia-Piet war verzweifelt über Arjen Robben …

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Ich habe gestern nacht noch auf dem Balkon gesessen, um den Abend mit einem Glas Retsina abzuschließen. Aber ich denke auch heute noch über den gestrigen Abend nach. Ärger soll ich ja dringend aus dem Weg gehen, sagen die Ärzte.
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Olymbos WegschildNiemand ist auf der Strecke unterwegs. Der Weg folgt zunächst dem Bach am Talgrund. Wasser plätschert über kleine Stufen, überquert den Kiesweg in schmalen Rinnen, Blätter rauschen, grauschwarze Krähen flattern auf. Mildes Wetter.
Den Wegzeichen Richtung Olymbos, die abwärts statt aufwärts weisen, muß man nicht glauben. Die Entfernung zwischen den Dörfern sei 2,98 Kilometer und in exakt 68 Minuten zurücklegbar. So so … nach meinem Ermessen sind es über Aghios Konstantinos von Diafani bis Olymbos-Ortseingang etwa 6,5 Kilometer.
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Irgendwann taucht hoch oben die Kapelle auf, wie eine Mini-Raubritterburg. Hier muß man den bequemen Weg im Tal verlassen und einen äußerst schmalen Pfad aufwärts steigen.
Hier wäre auch mal wieder die Heckenschere nötig. Am Abzweig vor der Kapelle wird der Weg breiter. Ganz oben wieder ein irritierender Wegweiser. Auch er weist abwärts (!) Richtung Olymbos:
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Agios Konstantinos Weg
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Agios Konstantinos 1857Die einsame Kapelle, 1857 errichtet, wird heute nicht mehr genutzt. Da die Tür fehlt, haben sich im Innern die frommsten unter den wilden Ziegen niedergelassen.
Und sie haben dem heiligen Konstantinos einen Teppich aus Verdauungsendprodukten gespendet.
Mir egal. Ist jedenfalls ein hervorragender Pausenplatz (wenn man vor der Tür bleibt), mit beeindruckender Aussicht.
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Agios Konstantinos Olymbos
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Aghios Konstantinos
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Weiter geht es steil hinauf. Am Ende eine fast ebene Strecke, die südlich und oberhalb des Dorfes Olymbos an der Asphaltstraße endet. Kaum Verkehr. Nur ein griechischer Rennradfahrer, der heute Pigadia-Olymbos-Pigadia fährt. Er steigt in die Bremsen, freut sich unbändig, daß ich ihn mit seinem Kamera-Telefon vor der Kulisse von Olymbos fotografieren kann.
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Olymbos ist fast ohne Tagesausflügler. Doch das Parthénon und das Kafeneion gegenüber sind gut besetzt. Gäste aus dem Dorf selbst. Die verzehren fast nix. Ich darf mir zwei Flaschen Mythos gönnen, und mich mit Nikos Filippakis über die Tavernen-Abenteuer der letzten Tage unterhalten.
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Im Kafeneion gegenüber spielt jemand Lyra. Ich erzähle Nikos, daß Michalis vom Corali unten in Diafani vor zwei Jahren auch ständig das Instrument herausgeholt hat: „In diesem Jahr fehlt ihm die Inspiration. Und beim Service herrschte gestern Streß und Chaos.“
Nikos ist amüsiert: „Du gehst oft ins Corali?“
Ich: „Klar. Immer. Popi und Michali haben das beste Essen in Diafani.“
Nikos: „Dann könnte der Michali dich für seinen Freund halten?“
Ich: „Möglich.“
Nikos lacht: „Dann ist doch klar, warum ihr so spät was zu essen gekriegt habt. Freunde müssen immer warten, wenn der Wirt Streß mit den anderen Gästen hat.“
Aha. So ist das? 30 Jahre Griechenlandreisen, und kann man immer noch dazulernen …
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Michalis Balakas Diafani
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Erinnerung an 2012. Da spielte Michalis (links) noch fast jeden Abend. Seine Haarfarbe verschiebt sich inzwischen vom Grauen ins Weiße …
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Olymbos von Avlona
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Auf der Straße nach Avlona, abendlicher Rückblick auf Olymbos.
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Ich will über den OL10-Höhenweg nach Diafani zurückkehren, und biege am Abzweig der Straße nach Avlona nach links ab. Irgendwo bei den Masten auf der Höhe müßte ein Fahrweg dahin führen. Ich finde den Weg auch, doch hier oben weiden Schafe, hinter Maschendraht. Und wo Schafe sind, sind auch die Hunde nicht weit. Fünfzig Meter vor mir steht auch ein schwarzer Köter im Bernhardiner-Format mitten auf dem Weg, ohne Leine, und kläfft wütend. Durch das Revier, das er sich anmaßt, komme ich nicht, ohne daß ihn vorher der Blitz trifft.
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roter Punkt KarpathosWandererphantasie:
Das bleibt von griechischen Hirtenhunden auf öffentlichen Wegen, nachdem der Weltpolizist Zeus seinen Blitz zur Erde schleudert … 🙂 … sorry, Cornelia …
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Umdrehen, Rückzug. Soll ich noch weiter nach Norden, über Avlona? Nein, zu spät, da nehme ich doch lieber den Talweg (OL4). Die Sonne ist schon längst hinter den Bergen verschwunden, aber ich bin gut drauf beim Laufen, wie in alten Zeiten …
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Neben mir stoppt ein verbeulter Toyota Pickup. Die Familie Lentaki. Vater, Mutter und Sohn kommen aus ihrer Taverne in Avlona. Händeschütteln durchs Seitenfenster: Ob sie mich mitnehmen sollen, auf der Ladefläche, zurück bis zum Abzweig? Nein, vielen Dank, den Rest schaffe ich zu Fuß. Geht ja nur noch abwärts.
Auch auf dem Talweg ist niemand unterwegs. Nein, doch, ein einsamer Wanderer tappt bergauf, wohl ein Jungolymbite, in Turnschuhen, mit Ohrstöpseln. Er ist in einer anderen Welt, voll verkabelt. Grußlos zieht er vorbei.
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Es ist schon halb acht, als ich nach Diafani zurückkomme. Fast neun Stunden war ich unterwegs. τα κορίτσια stehen mutter- und tantenlos auf ihrem Balkon im Dorana. Sie entdecken mich auf der Straße: „Woher so spät …? Wir wollen gleich alle wieder ins Corali.“
„Ich auch. Aber jetzt sofort. Muß mit Michalis zuerst einen Friedens-Raki trinken!“
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Schon wieder Hochbetrieb. Michalis ist in der Küche, er wirbelt mehrere Pfannen auf dem Gasherd herum. Ich winke ihn heraus. Er stutzt, wischt die Hände am Spültuch ab, setzt sofort zu einer umfangreichen Entschuldigung wegen gestern an … aber ich unterbreche ihn: „Von mir aus ist das jetzt vorbei, Michalis. War auch nicht richtig, daß ich dich angebrüllt habe. Laß uns jetzt beide einen Raki auf Frieden und Freundschaft trinken, und halt uns einen Tisch frei. Wir kommen nämlich gleich zu fünft zum Essen.“
Michalis freut sich, lacht, wir stoßen an. Ach, das mit dem Anbrüllen sei nicht tragisch, die Griechen würden ja auch immer gleich laut …
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Hotel Glaros DiafaniZurück im Hotel Glaros. Die Sonne ist längst weg. Ich muß mich noch abendfrisch machen. Als ich zum Essen komme, sind die Damen schon fertig. Noch eine Portion Palamides aus der Pfanne mit Salat für mich. Popi bringt Raki und ein Dutzend Gratis-Loukoumades zum Dessert, aber die zimt-und-honig-gewürzten Hefebomben mag ich eh nicht.
Am nächsten Tag liege ich auf der faulen Haut, und sitze gleich zweimal im Corali. (Inzwischen kann man mich mit Artischocken jagen, aber Popis sämige Artischockensuppe mit gehackten Fenchelblättern ist heute Weltklasse.)
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Michalis und ich leeren jedesmal vor meiner Bestellung zusammen einen Raki, erst auf die Freundschaft, und dann auf den Weltfrieden.
Das mit der Freundschaft war machbar, aber das mit dem Weltfrieden hat bisher noch nicht geklappt …
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Fazit:
Laufen fördert vernünftiges Denken. Wenn man Lauftempo und Richtung selbst bestimmt.
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4 comments

  1. Hallo Theo,
    den Wegweiser interpretierst du m.E. falsch – nach 2,98 Kilometern kommst du an die Abzweigung zum Weg Diafani-Olymbos.
    Ein ähnliches Schild hatten wir beim Aufstieg zum Profitis Ilias – 0,34 km – das war nicht der Weg zum Propheten, sondenr zur Wegkreuzung.

  2. Das gleiche Schild steht auch unten am Abzweig, es zeigt aber in die andere Richtung (!). Es steht oben auf dem Berg bei Olymbos, und auch unterwegs an der Kirche. Von den Schildern hatten sie wohl ein halbes Dutzend auf Vorrat, und irgendwo mußten sie ja hin. Dann besser nur rote Punkte …
    Von dem Schild, das in Richtung des Prophetengipfels zeigt, hab ich auch ein Foto. Fast wären wir da auf unserem Rückweg noch abgebogen … “He, nur 340 Meter zum Gipfel!” … wir haben es ausgelassen, weil wir in Olympos zum Essen eingeladen waren.

    Und eine minutenfixierte Wanderzeit ist ohnehin Blödsinn … solange es keinen genormten Wanderer und kein genormtes Wetter etc. gibt.

  3. Ich würde mich nie über vorhandene Wanderwegweiser beschweren – dazu finde ich es viel zu toll, dass es sowas auf Karpathos gibt! Ist in GR ja eher selten. Da verzeihe ich die Minuten und Meter doch gerne – einen Anhaltspunkt bieten sie allemal.
    Und der Wegweiser mit den 2 Ortsnamen untereinander weist eben auf eine Kreuzung hin, und nicht auf ein Endziel. Die wir Richtung Profitis Ilias tatsächlich nach 20 Minuten erreicht hätten wenn der Weg nicht so undeutlich markiert gewesen wäre 🙂
    Man muss halt das System erst verstehen… 😉

  4. Ich habe noch eine Idee, wie man Wanderer (ohne Navi) über die Insel leiten könnte, schilderfrei, mit pulsierenden LED-Bändern von A nach B (statt Punkten und Wandermännchen und Schildern) (fördert auch das Nachtwandern).
    Trotzdem elektronisch gesteuert, auf individuelle Leistung abgestellt: Kontrollstationen mit Tablets, wo die individuelle Laufzeit gemessen wird und die Restzeit geschätzt wird – und Puls und Blutdruck gemessen wird, der Kalorienverbrauch geschätzt wird und die Wetterprognose aktualisiert wird … ist mir heute nur zu anstrengend, das auszuformulieren.
    Bei Wanderbeginn checkt man an der ersten Station ein, und wenn man sich am Ziel nicht ausgecheckt hat, wird eine Bergrettungs-Drohne losgeschickt, die den verlorenen Wanderer sucht!
    Später … 🙂 … erst mal muß ich für die Idee Gebrauchsmusterschutz beantragen!

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