Steinmetz: Bergreise 1904

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Abata, unfreiwilliges Etappenziel der Reise von Karl Steinmetz
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Obwohl Karl May (der erst nach dem Erfolg seiner Orientromane den Orient selbst bereiste) bereits 1892 seine Leser in das “Land der Skipetaren” geschickt hatte, war Albanien viele Jahre später immer noch eine weiße Stelle auf der Karte von Europa. Der Wiener Hartleben-Verlag konnte für ein Reisebuch von Karl Steinmetz mit diesen Worten werben:
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“… man muß sich vergegenwärtigen, daß es sich um Vorfälle und Zustände in Europa und nicht in einem entlegenen Winkel Afrikas oder Polynesiens handelt!” Für die meisten Nordeuropäer war Albanien damals ein ganz exotisches Irgendwo. Der Ingenieur Karl Steinmetz war jedoch in den Sommermonaten 1903 und 1904 tatsächlich dort unterwegs! Körperlich gut durchtrainiert und informiert, den Rucksack diskret gefüllt mit Vermessungsgerät und Kamera, eine Browning-Pistole am Gürtel, und mit genug List und Lebensweisheit, um in den Bergen auch schwierige, ja lebensgefährliche Situationen durchzustehen. (Karl May hätte ihn gut als ghostwriter brauchen können, aber Steinmetz publizierte lieber selbst. Leider sind seine Arbeiten heute fast völlig verschollen …)
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Paul Siebertz zitierte häufig aus den Berichten von Steinmetz (und er beklaute ihn auch ab und zu, was die Abbildungen angeht). Und während Siebertz, der Journalist, manches Mal die Dinge doch an die große Glocke hängt, schildert sie Steinmetz eher zurückhaltend … obwohl er viel drastischere Sachen erlebt.
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Ich habe Siebertz ein opulentes Festessen (Albanien 1910 – 1) beschreiben lassen, hier zwei Zitate von Steinmetz, die ein “albanisches Gastmahl” in den Bergen doch weniger abenteuerlich aussehen lassen (beide aus “Ein Vorstoß in die nordalbanischen Alpen” von 1904):
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Erstes Essen: “Separate Teller gab es nicht, jeder langte in eine gemeinsame Schüssel. Den ersten Gang bildete gekochtes Schaffleisch in einer Brühe, die mit dem gleichzeitig herumgereichten recht wohlschmeckenden Maisbrot ausgelöffelt wurde. Als zweiter und gleichzeitig letzter Gang wurde uns ‘Maz’ vorgesetzt, die beste Speise der Malcoren (Bergbewohner), welche nur bei besonderen Anlässen geboten wird. Sie besteht lediglich aus einem mit Wasser bereiteten Maismehlbrei, der mit siedendem Rahm übergossen wird. Wenn die schon ein Festessen bei dem ersten Mann von Sesi war, wie anspruchslos müssen erst die gewöhnlichen Mahlzeiten der Malcoren sein! Gekochtes Salzwasser, in welches Maisbrot gebrockt wird, und letzteres trocken genossen, bilden ihre Hauptmahlzeit. Nur Bessergestellte können sich Käse oder mit Wasser verdünnte saure Milch gönnen.”
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Zweites Essen, mit dem üblichen rituellen Treberbranntwein-Aperitif: “Bei den Trinkgelagen geht es lebhaft, aber nie übermäßig laut zu. Der Malcore bleibt sich auch dabei seiner Würde bewußt. Man sieht dort auch keinen Betrunkenen. Um die Trinklust anzuregen, werden Käse sowie Fische und eingesalzene Gurken herumgereicht. In den Städten besteht dieses ‘Mese’ auch aus kaltem Fleisch, Oliven, Zuckerwerk usw.
Etwa eine Stunde währte diese Vorbereitung, bis zwei niedrige Tische hereingebracht wurden; einer wurde rücksichtsvoll uns (den Ehrengästen) reserviert. Bevor Platz genommen wurde, wusch sich jeder die Hände. Die erste Speise bestand aus gekochtem Hammelfleisch und Reis. Das dazu konsumierte frischgebackene Maisbrot hatte der Hausherr in Form einer mächtigen, etwa 5 cm dicken Scheibe hineingebracht, gebrochen und an die Gäste verteilt.
Dem Anfange folgte wie in Sesi gleich der Schluß. Die zweite und letzte Schüssel enthielt saure, stark mit Wasser verdünnte Milch. Nach jedem Schluck legte man den Löffel bedächtig auf den Tisch, um ein Stück Brot zu genießen.”
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Die Gastgeber essen übrigens nicht mit, sie servieren nur und essen selbst nur die Reste im Nebenzimmer, nach ihren Gästen.
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Was die Frauen angeht, denen Siebertz zu seinem Bedauern nicht nahe genug kommen konnte … Steinmetz konnte das schon … 🙂 … Steinmetz wohnte eine Zeit lang bei einem katholischen Missionär, der mit Mutter und zwei Schwestern in Sesi einen Haushalt führte: “Der geistliche Herr war noch ein sehr junger Mann von wenig über zwanzig Jahren und mit den Verhältnissen bei den Hochländern unvertraut, da er erst vor sechs Wochen aus Scutari, seiner Vaterstadt, hierher versetzt worden war.”
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“In den beiden vierzehn und siebzehn Jahre alten Schwestern hatte ich zum erstenmal Gelegenheit, Scutariner Mädchen kennen zu lernen. Sie hießen Age und Leze und waren hübsch, die ältere konnte sogar schön genannt werden. Anfangs waren sie, der Gesellschaft fremder Männer ungewohnt, außerordentlich schüchtern, erst nach einigen Tagen wurden sie etwas zutraulicher. In meiner Gegenwart, auch wenn wir beim gemeinsamen Mahle saßen, bei welchem ich als Fremder den Ehrenplatz hatte, wagten sie nicht laut zu sprechen. Als ich einmal aufstand, um mir selbst vom anderen Ende des Tisches die Wasserflasche zu holen, wurden allgemein Ausrufe der Überraschung laut, denn es war unerhört, daß ich mich als Herr der Schöpfung zu etwas herabwürdigte, was Sache der Mädchen war! Wenn ich mir eine Zigarette drehte, stand auch bereits eines von ihnen mit einem brennenden Zündhölzchen in der Nähe da.”
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Offensichtlich waren die (christlichen) albanischen Mädchen also hübsch genug, sie durften zwar nicht viel sagen, aber im gleichen Raum wie die Männer auftauchen, und Steinmetz mußte auch keine heiraten, weil er ihr zu lange in die Augen geschaut hatte … 🙂 …
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Was das Bewegen auf dem Land angeht (Siebertz findet das ja locker, und durch die Gesetze der Gastfreundschaft auch sicher), da macht Steinmetz ganz andere Erfahrungen. Steinmetz kennt zahlreiche Fälle, bei denen unter Gastfreundschaft stehende Personen ‘aus Zufall’ erschossen wurden. Sie hatten sich im Wald nicht rechtzeitig und laut genug mit dem Namen ihres letzten Gastgebers gemeldet (die Schreierei ist ja auch lästig) und wurden prompt für potentielle Viehdiebe gehalten. Pech gehabt …
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Und die Situation ist immer gereizt. Bei der großen Armut im Gebirge war Viehdiebstahl ja eine kapitale Sache. Jedes fremde Gesicht im Revier war verdächtig, und zur Begrüßung wurde oft zunächst mal der Abzugshahn durchgezogen. Steinmetz: “Ich sah manche, die nicht einmal ein Hemd auf dem Leib hatten; ein Gewehr und einen Patronengürtel hatte aber jeder.”
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Es gab auch Albaner, die sich überhaupt nicht um die ‘Gastfreundschaft’ scherten: (Süd)albanische Straßenräuber
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Man kommt so auch als Fremder in inneralbanische Streitigkeiten hinein, ohne es zu wollen. Beispiel: Steinmetz will nach Gusinje, einem ganz entlegenen Städtchen in den Bergen, dessen Einwohner als fremdenfeindlich bekannt sind. Zur Zeit soll es ganz problematisch sein, da die Türken Steuern erheben wollen, und jeder Fremde als Spion der Finanzbehörde angesehen wird (sowas kann das Leben kosten). Steinmetz sucht also vertrauenswürdige und gut bewaffnete Begleiter – gegen Bezahlung. Er will sich als Albaner ausgeben. “Gusinje, ein durch hohe Gebirge ringsum abgeschlossener Ort, ist durch seine Fremdenfeindlichkeit und Unbotmäßigkeit berüchtigt, und gerade jetzt herrscht dort wegen des Versuches der türkischen Regierung, Steuern abzuführen, Aufruhr. Sogar Albanen aus Scutari wurden bedroht!”
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Das Pech ist, nach kurzer Zeit ist die Konkurrenz um diese “body guard”-Stellen zwischen zwei verfeindeten Parteien ziemlich groß, und der Ärger darüber verwandelt sich in Wut gegen Steinmetz selbst. In der Nacht stellt er fest, daß eine der beiden Parteien sein Haus belauert. Die Leute haben auch keine Probleme damit, ins Haus zu kommen und ihm ihre Pläne offen zu legen: “… sie hatten abends das Pfarrhaus umschlichen, dabei durch das Fenster meine Reisevorbereitungen beobachtet und daraus geschlossen, daß mich Sadri (der Gegner) in der Nacht abholen würde. Sie hatten infolgedessen bis jetzt das Haus bewacht, entschlossen, wenn Sadri käme, uns beide zu erschiessen. Sie bekannten auch, von ihren Familien bereits Abschied genommen zu haben, um sofort nach der Tat das Stammesgebiet verlassen zu können und so der Blutrache zu entgehen.” Im Haus selbst können sie ihn wegen der Gastfreundschaft bzw. wegen der Hausehre natürlich nicht erschießen …
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Steinmetz muß Gusinje aufgeben und mitten in der nächsten Nacht mit Hilfe eines ausgefuchsten 16jährigen Jungen aus dem Stammesgebiet flüchten. Noch während er in den “Gusinje-Vorstellungsgesprächen” saß, war schon darüber verhandelt worden, ob es nicht besser sei, ihn gleich zu erschießen, damit wieder Frieden im Ort ist.
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Er flieht über die Paßhöhe in das benachbarte (feindliche) Stammesgebiet, wo er im Dorf Abata beim Pater wiederum erneut Gastfreundschaft genießen kann (Foto ganz oben). Lange bleiben kann er dort auch nicht, denn dort findet ihn bald die andere Partei (Sadri und zwei Freunde)! Doch niemand kann das Risiko abschätzen, ob nicht doch jemand tagsüber aus dem Hinterhalt schießt und die Blutrache in Kauf nimmt! Und der Mordgrund ist nur die “Beleidigung”, daß Steinmetz sein Versprechen, eine Begleitung nach Gusinje zu mieten, nicht gehalten hat …
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Steinmetz flüchtet wieder nachts, hat ein paar Tage Ruhe … aber ganz am Ende der Reise verkleidet er sich sogar als katholischer Pater, um zu seinem Ziel, dem Pfarrhaus von Djakova, zu gelangen. Das ist ärgerlich, denn: “… ich durfte keinen Augenblick meine Rolle vergessen. Ich konnte weder über die Umgegend Auskunft verlangen noch Notizen machen; vom Photographieren ganz abgesehen.”
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Übrigens, Djakova ist ein überwiegend muslimisches Dorf, und die katholische Kirche ist nur ein Raum innerhalb des Pfarrhauses selbst, und einen Kirchturm gibt es auch nicht, da die Dorfgemeinde den Anblick einer Christenkirche im Dorf nicht ertragen wollte. Das Problem kommt mir nach gewissen alpinen Volksabstimmungen doch irgendwie bekannt vor … 🙂 …
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Allerdings “die mohammedanischen Hochländer sind nicht so fanatische Bekenner des Islam, wie z.B. die slawischen Konvertiten, und ihre Treue zum ottomanischen Reiche richtet sich sehr nach dem Entgegenkommen der Regierung.” Das Wissen um die Welt ist erschreckend gering im Bergland. Steinmetz beruft sich häufig darauf, ‘der Kaiser in Konstantinopel und dessen sieben Könige’ seien seine Schutzengel. Die Bergbewohner … meist ohne jede Schulbildung … glauben nämlich, das seien die Herren der Welt. Die Christen haben aus den Predigten oft noch etwas von Rom und Wien gehört: “Bei den Katholiken ist überhaupt jede andere Macht überhaupt nicht bekannt oder ohne jedes Ansehen. Da ihre Kirche unter österreichisch-ungarischem Protektorate steht, so betrachten sie sich vielfach selbst als Österreicher …” und “… von Italien weiß man nur in den Küstenstädten, im Binnenland kennt es niemand.”
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Karl Steinmetz hat auf seiner Reise zwar keinen Schuß abgegeben und ist auch an einem Stück wieder nach Hause gekommen, hat aber mit seinem Bericht sicher auch niemanden gewonnen, der am nächsten Tag zu Thomas Cook ins Reisebüro ging und nach Wanderurlaub in Albanien fragte …
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Bücher von Karl Steinmetz:
Eine Reise durch die Hochländergaue Oberalbaniens (Wien 1904)
Ein Vorstoß in die nordalbanischen Alpen (Wien 1905)
Von der Adria zum Schwarzen Drin (Sarajevo 1908)
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5 comments

  1. Ich will hier noch mal auf die dreisprachige (deutsch, englisch und albanisch!) website von Robert Elsie hinweisen, irgendwo habe ich das schon einmal getan.
    Besonders interessant ist die Sammlung früher Fotos aus Albanien:
    http://www.albanianphotography.net/index_de.htm

    Hier findet sich auch eine kurze Biografie von Karl Steinmetz! Der erste Satz lautet: “Eksploruesi dhe udhëpërshkruesi austro-hungarez, Karl Shtajnmec, ishte inxhinier …” (Der österreichisch-ungarische Entdecker und Reiseschriftsteller, Karl Steinmetz, war von Beruf Ingenieur …)

    Ganz toll sind die Bilder von Josef Székely von 1863. Unbedingt reinschauen!

  2. Hi Theo, ich lebe seit über einem Jahr in Albanien und wir bieten besagte Wanderurlaube und Trekking-Touren in den albanischen Alpen an 😉
    Gerade dieses Wochenende war ich mit Robert Elsie und einigen anderen in Theth unterwegs und wir haben Sadri Lukas Haus in Okol besucht.

    Ich würde gerne einige Reisen auf den Spuren früherer Reisender anbieten, habe aber Probleme deren Bücher zu finden. Kannst du mir eventuell Tipps dazu geben oder hast auch nur die Auszüge auf Roberts Website benutzt?
    Wo stammt der kleine Kartenzipfel am Ende des Beitrages her?

  3. Hallo Ricardo, ich fange von hinten an. Also der Karten”zipfel” ist ein Ausschnitt aus der Karte aus dem Band “Ein Vorstoß in die Nordalbanischen Alpen”.
    Die Bücher vom Steinmetz sind tatsächlich kaum zu finden. Ich habe 2 (von 3). Nach langer Zeit habe ich vor 6 Wochen die Erstausgabe von “Von der Adria zum Schwarzen Drin” gefunden. Wurde 2011 aus einer Universitätsbibliothek in Wien aussortiert. Sieht so aus, als habe noch nie einer in den Text hineingeschaut.
    Allerdings war ich selber unterwegs in den letzten Wochen und habe das Buch noch gar nicht gelesen – nur dessen Fotos mal gescannt (die sind aber nicht so aufregend). Die zugehörige Karte hat leider jemand früher mal herausgerissen.
    Gut möglich, daß ich das Buch hier demnächst mal vorstelle. Kann aber noch dauern …
    Zwischendurch viel Erfolg beim Touren-Anbieten!
    Theo

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