Sifnos 2011

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Sifnos, die Insel, wo die Töpfe auf dem Dach stehen statt im Küchen-schrank (Aghios Andreas)
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Sifnos, die Insel, wo die Statiker bei den Kirchen die Sandfestigkeit prüfen … (Vathi, Taxiarches)
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“Gib Sifnos eine Chance, die Insel hat es verdient!” hatte Katharina mich beschworen. Ihr hatte ich einen Teil meiner Bedenken und Vorurteile vorgetragen … Sifnos, die Töpferscheibeninsel … Sifnos, die Insel, die auf jedem Hügelchen eine frischgeputzte Kirche stehen hat … Sifnos, die Insel, die keinen alten Hafen hat und kein schönes altes Hafen-Kafeneion … Sifnos, die Kapellen-Katzen-Kichererbsen-Kalender-bilder-Insel …
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All das schwirrte mir schon im Kopf herum, als ich vor drei Jahren im Frühsommer auf der Milos-Seriphos-Folegandros-Sifnos-Route unterwegs war. In jedem Hafen stiegen nicht mehr als fünf oder sechs Leute ein oder aus, aber in Sifnos war es gleich eine ganze Welle … hatte Sifnos den Überdruck der anderen “überschönen” Kykladen-Inseln aufgenommen … jetzt eben Sifnos, und nicht mehr Santorini?
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Mißtrauisch hatte ich später MartinPUCs Reiseberichte bei kritimou gelesen … hm, naja … klang ja noch ganz normal … aber im Sifnos-Hafen Kamares bleiben wollte ich auf keinen Fall. Kamares ist doch nur so ein Übergangsort … vor fünfzig Jahren gab es Kamares noch gar nicht, und wie ist der Ort gewachsen, seit ich vor fast zwanzig Jahren zum ersten Mal dort war, bei unserem damaligen Blitzbesuch …
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Sifnos, Kloster Panaghia Vrysis. Werden hier Verkehrssünder vor der Steinigung gewarnt?
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Außer Kamares hatte ich vorab auch alle anderen Plätze am Wasser abgehakt … Faros, Vathi, Kastro und so weiter, nein, wohl alles zu still im Mai … das “richtige Insel-Leben” gab es wohl nur in Apollonia. Also dann, gleich mitten rein! Übernachte ich doch am besten direkt an der zentralen Bushaltestelle … mitten in der “Inselhauptstadt”! Hm, so eine richtige “Mitte” hat der Ort ja gar nicht … da gibt es eine Stelle, wo sich die Inselstraßen treffen, und die beiden Dorfgassen dazu, von denen auch nur eine erschlossen ist mit ein paar Tavernen und edel-rustikalen Schmucklädchen …
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Hochbetrieb im touristischen Zentrum von Apollonia
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In der Gasse Richtung Katavati ist man gleichzeitig schwer bemüht, im Trend mitzuhalten, und trotzdem bemüht, die alten Zeiten nicht zu vergessen. Ja, das ist ein bißchen schizo, aber doch rührend-reizvoll. Die Gasse, die in Richtung Artemonas aufsteigt, ist noch völlig verschlafen. Auf halber Höhe behauptet sich ein italienisches (!) Restaurant, das unter den Sifnos-Dauergästen allerdings etwas umstritten scheint …
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Kafezacharoplasteio Lakis am Taxistand in Apollonia, gewissermaßen die geographische Mitte der Insel (man beachte das Fadenkreuz rechts) …
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Ich beziehe eine Suite (ha!) im Hotel Anthoussa (Superrabattpreis ohne Rechnung, klar, die Steuerinspektoren auf den Kykladen wurden ja gerade eingespart, und eine große Dose exzellente Mandelplätzchen aus der hauseigenen Patisserie gibt’s noch zum Abschied …), trinke jedoch meinen Frühstücks-Elleniko bei Lakis für einen Euro … Tiropita und Spanakopita und Bougatsa gibt’s beim Bäcker schräg gegenüber, nee, nicht zum Sozialpreis, aber von wirklich tadelloser Qualität …
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… und das Nachtcafé neben dem Zeitungsstand spielt Tag für Tag Athen bei Nacht, die Preise sind aber auch noch zivil. Im Hotel sind sie rührend um mein Wohlbefinden bemüht, eine Freundin der Juniorchefin Niki liefert mich am ersten Abend im To Koutouki ab (“You want to eat traditional or international food?”). Es ist zwar lausig kalt, aber da könne man windgeschützt draußen sitzen, und sie haben Heizpilze (um Himmels willen …!).
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Star Wars Heizpilzwächter vor Taverne, hier mal im Sonnenschein
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Na, was gibt es an traditional food? Der Kellner, der aus dem inzwischen filmbekannten Fischerdörfchen Faros kommt (der Film “Nicostratos le Pélican” von Olivier Horlait, mit Emir Kusturica in einer Hauptrolle, wurde 2010 auf Sifnos und Milos gedreht), freut sich, daß ich gebackene Auberginen, Revithada und Kaparosalata bestelle … die Kichererbsensuppe gibt es im Koutouki allerdings nur in einem getöpferten roten Becherchen mit Deckel, und der Kapernsalat hat was Irritierendes an sich, wie Horta-mit-Honig, ist wohl eingemacht vom letzten Jahr …? Die Kapernsaison hat dieses Jahr nämlich noch gar nicht angefangen, und zum späteren Entsetzen von Freund Thanasis (T’Aloni) auf Syros nehmen sie hier auf Sifnos auch die Blätter zum Salat … und die sind bitter und müssen gesüßt werden …
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Aber das Koutouki kriegt am nächsten Tag noch eine weitere Chance. Diesmal gibt es Kaninchen in Weinsauce (Kouneli Tsigaristó). Der Kellner sagt, das sei gestern gekocht, aber das sei kein Fehler, es sei am zweiten Tag noch ausgezeichnet … und er hat recht. Ganz lecker, mit pasta al dente. Um mich herum lauern hartnäckig mehrere Katzen mit hungrigen Augen, was mich davon überzeugt, daß es wirklich Kaninchen ist, was ich auf dem Teller habe, und nicht etwa Gata Tsigaristó … aber lassen wir das.
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Apostolis, Taverna Sifnos. Hier mal ohne das übliche coole schwarze T-Shirt (ich hatte ihm allerdings versprochen, das T-Shirt noch per Photoshop anzupassen …)
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Jedenfalls wechsele ich vom dritten Tag an (wenn ich in Apollonia esse) das Lokal, und sitze in der Taverna Sifnos, bei Apostolis. Bei Apostolis ist alles etwas einfacher und handfester … was da im Foto hinter ihm auf der Wandtafel angeboten wird, ist in der Vorsaison nur Deko. (Wer will auch schon ‘Lampe in Wein’ zum Abendessen …?) Am besten beginnt man das abendliche Bestell-Gespräch mit einem “Was gibt es denn heute nicht, Apostolis?” Bei Apostolis essen die Sifnos-Dauergäste, und daß die Jahr für Jahr immer wieder zu ihm kommen, ob aus Hamburg, aus Darmstadt oder aus Australien, spricht ja für ihn. Apostolis weiß auswendig, wer wann was und wieviel trinkt, und man sitzt immer da, wo man den Gästen, die oben einen room im “Hotel Sifnos” haben, höflich die verklemmte Haustür aufstemmen kann. Links geht’s ins Hotel:
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Irgendwann erläutern zwei Leute am Nebentisch ihren Nachbarn den Kleinkrieg zwischen zwei libanesischen Migranten-Clans in einem nördlichen Essener Stadtteil, und warum der arabische Kioskbesitzer zwischen den Fronten am liebsten die Scharia einführen würde. Da kann ich gleich mitreden. In der Nähe arbeite ich nämlich jeden Tag. Ja, Sifnos zieht noch ganz normale Leute an, die im normalen Leben mit ganz normalen Dingen konfrontiert sind. Und wenn jemand mal abends nicht pünktlich zum Essen kommt, wie sonst, (“N’Abend, kalispera, same procedure as every day …”) macht man sich schon im stillen Sorgen …
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Drakakis. Der Kaffee kommt.
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Und ja, zugegeben, es gibt Plätze auf Sifnos, die liegen preislich etwas über dem Durchschnitt. Aber eigentlich war in der Regel das Preis-Leistungsverhältnis noch akzeptabel. Daß zum Beispiel bei Drakakis 1,50 für den Elleniko verlangt wurde, na gut, der Drakakis-Kaffee war aber auch erheblich größer als bei Lakis und wurde netter arrangiert …
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Und in meiner persönlichen Aversion gegen die Kirche schwanke ich in Griechenland ja ständig hin und her … von einem “ist doch alles nur Folklore, vergeß es” über ein “was bliebe denn von der griechischen Identität ohne den orthodoxen Glauben” bis zu einem “wenn ich jetzt noch einen Popen mit Hut sehe, dann …”
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Naja, auch in Sifnos hatte ich mich am Ende davon überzeugt, so schlimm ist es hier doch gar nicht mit der Schreckens-Tyrannei der Kirchen, und ich hatte am Ende mit Interesse Kirchenfußbodenkacheln und Opfergaben und Gästebücher untersucht … alles nur Kultur- und Sozialstudien, was sonst … 🙂 … und den Klerus gab es in der Öffentlichkeit kaum auf Sifnos. Einmal ging ein Pope in die Apotheke, Babyartikel kaufen, die er draußen einer Nachbarin zur gefälligen Begutachtung vorlegte … und es war doch überall so gähnend leer, da war ein uniformierter Pope mit Einkaufszettel schon eine willkommene Unterhaltung.
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Sifnos, eine lokale touristische Zugnummer: die Panaghia Chrysopighi
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Ja, die Touristen fehlten auch. Als in Artemonas, im Mezedopouleon Margarita, mittags plötzlich ein Bus deutscher Rentner die Terrasse komplett belegte, unangemeldet, war das schon ein Schock. Der einsam agierende Wirt mußte in höchster Not telefonisch Frau und Sohn zur Hilfe rufen. Die Gattin band sich noch hastig die Schürze um, während sie im Laufschritt heraneilte. Trotzdem lief es nicht rund. Der griechischen Reiseleiterin hätte ich ein “mangelhaft” unter “Organisationsfähigkeit” ins Zeugnis geschrieben. Wahrscheinlich haben die älteren Herren und Damen am Ende noch in aller Umständlichkeit einzeln bezahlt … aber ich hatte das Lokal schon verlassen, bevor auch nur der letzte von ihnen überhaupt was Eßbares vor sich auf dem Tisch hatte …
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Im Hochsommer mag es hier ja ganz anders auf der Insel aussehen. Dann machen sich bestimmt auch die lokalen Töpfer und Keramikkünstler auf den Gassen stärker bemerkbar. Ich habe praktisch nichts Frischgebranntes aus dem Scherben-Universum zum Verkauf gesehen, aber auch nicht danach gesucht. Dabei war ich ständig unterwegs, und man kann auf Sifnos noch gut “unterwegs” sein … sind ja alles nur kurze Entfernungen. Es ist eine recht kleine Insel (75 km²), es gibt noch viele schöne, alte Fußwege (siehe unten) und die 2000 Einwohner erzeugen auf den paar Landstraßen auch keinen übermäßigen Verkehr. Strände und Strandmenschen gibt es auch. Sogar das abgelegene Vathi hat ein Luxus-Strand-Resort, das “Elies”.
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Und man trifft auch in Apollonia schon mal auf Strandtypen in Shorts und Badelatschen, die fragen, wo denn dieser Fußweg durch die Schlucht nach Kamares sei. “No, not the big road …” Vor Lakis zeigt ihnen jemand die Richtung, warnt sie noch vor der Strecke nach einem Blick auf ihre Füße, schaut ihnen dann kopfschüttelnd hinterher, während sie lostraben, die Videokamera mit der Faust umklammert …
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Und an jedem Morgen, wenn ich die Augen aufmachte, fiel mein Blick auf dieses symbolische Ensemble vor mir … der Innenarchitekt des Hotels hatte es so eingerichtet:
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Also links … ähm … Kunst und Kultur, in der Mitte … Landleben und Natur, rechts … Meer und Bewegung … tja, als Summe ist das doch Hellas an sich, oder … 🙂 …?
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Und es war immer nett, spätabends auf dem Balkon zu sitzen, so kalt es auch noch war im Mai … mal gab es ein spektakuläres Gewitter … zwei Stunden Blitz und Donner … mal gab es nur eine einsame Sternschnuppe. Ein fallender Stern, sein letzter Moment. Was hab ich mir da spontan gewünscht, ohne groß nachzudenken? Daß ich demnächst mal wieder herkomme … also ja wirklich, Katharina, die Insel hat das Herkommen verdient.
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WEITER MIT:  KASTRO, SÄRGE UND SÄULEN
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WEITER MIT:  PROFITIS ILIAS, UNTER AUFSICHT
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WEITER MIT:  TROULAKI – SIMEON – SOSTIS
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WEITER MIT:  ZU FUSS, KATAVATI – VATHI
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13 comments

  1. Weil gerade Zeit zum Nachdenken ist … Kathimerini berichtet über eine Studie der Bank of Greece, die feststellt, daß griechische Selbständige und Bauern in der Regel 33% ihres Einkommens nicht versteuern:
    “A recent study on taxation estimated that all taxpayers declare at least 10 percent less of their taxable income, resulting in a 26 percent loss in tax revenues. The same study found that the self-employed and farmers, who declare an average of 33 percent less than their actual income, are responsible for the bulk of tax evasion.” (ekathimerini 11.07.2011)
    Wie gesagt, gleichzeitig baut die Steuerfahndung Stellen ab, und das Staatsdefizit wird wider Erwarten (haha) gegenüber der Haushaltsplanung jeden Monat größer.
    http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite2_1_11/07/2011_397947
    und
    http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite2_22196_11/07/2011_397941

  2. Hallo Theo,

    recht hast Du, die Insel hat das Herkommen verdient – immer wieder ! Deinem Troulaki-Artikel muß ich entschieden widersprechen, es war nicht lausig kalt für ein Strandleben, für mich war es ideales Badewetter !

    Gruß aus HH

  3. Hat Apostolis im Mai auch schon hüllenlos bei Chrissopigi gebadet? Die Essensauswahl Ende September beschränkte sich übrigens auf Mastelo, Briam und Mousaka sowie verschiedenerlei Bällchen. Die Zucchinibällchen sind dabei den Kichererbsenbällchen deutlich vozuziehen.
    Ach ja, und die besten Kicherersbensuppe gibt es bei der unschlagbar netten Sofia im Poseidonas in Kamares. Wo man auch dem legendären Kamaki Antonis beim Töpfern über die Schulter schauen kann….

  4. Hallo
    Ich besuche heuer zum X.ten male Sifnos .freue mich am Ankunftstag auf Kichererben bei Sofia,auf mein Auto von Apollonia und auf Faros.
    Urlaub pur.
    Es gibt soviele Wanderungen auf Sifnos.soviele Kapellen und soviele gute Wirte und Cafes ,man muss sie nur suchen.
    Im Buch von Taxiarchos skafos findest du mich,

    Glücklich.
    Lies nach warum.
    Andreas
    Es ist meine zweite Heimat

  5. “The Greek House – The Story of a painter’s love affair with the island of Sifnos” von Christian Brechneff, bei Farrar, Straus & Giroux, NY, 2013, ISBN 978-0-374-16671-7.
    Der Maler Christian Brechneff, 1950 im belgischen Kongo geboren, kommt 1972 zum ersten Mal auf die Insel, kauft bald darauf dort ein Haus, weil er da zum ersten Mal so etwas wie “Heimat” fühlt. Er hatte in den USA, in der Schweiz und England studiert. 30 Jahre später hat sich die Insel verändert, Brechneff aber auch … was mehr als eine Affäre war, war vorüber …
    (Danke für den Tipp, Katharina! Fing gut an beim Lesen – hab das Buch noch nicht durch zum Ende, also noch kein Urteil.)

  6. Ausstellung in Hamburg / Völkermuseum
    Sa 16. Juli 2016 – So 2. Juli 2017
    Eröffnung Fr 15. Juli | 18 Uhr
    Sifnos …Poesie des Lichts”

    Weiß gekalkte Fassaden, Töpferei und Kirchenkuppeln – viele Traditionen sind auf der griechischen Insel Sifnos noch lebendig. Die Kunst des Töpferns wird unter den Inselbewohnern von Generation zu Generation weitergegeben, die dortige Architektur stellt den Menschen in den Mittelpunkt.
    http://www.voelkerkundemuseum.com/963-0-Sifnos-Poesie-des-Lichts.html
    https://twitter.com/hashtag/sifnoshh?f=tweets&vertical=default&src=hash
    vg aus Hamburg, kv

  7. Kalimera, ich war Freitag zu Eröffnung der Austellung. Es waren auch einige Sifnioten anwesend.
    Die kleine Ausstellung ist mit viel Liebe zum Detail gemacht.
    Die Ausstellung ist für alle Griechenland-Freunde interessant, nicht nur für Freunde der Kykladen und der Insel Sifnos.
    Ein kurzes Video über die Ausstellung gibt es hier:
    https://hrbruns.com/2016/07/16/sifnos-poesie-des-lichts/
    vg aus Hamburg, kv

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