Danke für den Kuchen …

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Er beugt sich von der Gasse aus über meinen Tisch. Gerade hat er bei Michalis bezahlt und ist aufgestanden. Erst spricht er mich griechisch an. Da schaue ich nur ratlos von dem Buch auf, in das ich vertieft bin. Also versucht er es auf Englisch: „Interessantes Buch, das Sie da lesen!“
„Ja, tatsächlich, hab ich mir vor fünf oder sechs Jahren gekauft. Da der Autor hier lebt und über das Dorf schreibt, hab ich es mitgebracht, um es noch einmal durchzuschauen.“
„Aha. Hätten Sie Interesse daran, daß der Autor Ihnen das Buch signiert?“
„Ich hätte zumindestens nichts dagegen …“
Er greift in seine Tasche, holt den Füller heraus: „Dann geben Sie es mal her. Ich bin der Autor.“
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Das war an meinem zweiten Abend im To Corali in Diafani. Am nächsten Tag haben wir Roger Jinkinsons 70. Geburtstag dort gefeiert. Was ihm ja eigentlich peinlich war, und er hätte es lieber verschwiegen. Aber Michalis, der Wirt, hatte eine Torte vorbereitet, und um zehn Uhr feierlich das Licht ausgemacht, und dann sangen alle Griechen mit Inbrunst ihr Heppibörssdeidierrodscher … da war es vorbei mit dem Geheimnis. Warum der Kuchen mit einer 2 statt einer 70 dekoriert war, dieses Rätsel wurde jedoch nicht gelöst. Aber schließlich feiern die Griechen selbst ja auch nur den Namenstag.
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Roger Jinkinson, der in seinem Buch „Tales of a Greek Island“ den Eindruck erweckt, er sei permanent ansässig auf der Insel, war auch gerade erst eingetroffen. Im Jahr 2012 plant er, vom Mai bis Ende Oktober in Diafani zu sein, wenn ihn seine Familienverhältnisse nicht eher nach London zurückrufen. Er kommt seit dreißig Jahren her und hat hier ein Haus. Aber um regelmäßig den Winter auf der Insel zu verbringen, nein nein, dazu ist er doch ein viel zu kontaktfreudiger Mensch …
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Diese Charaktereigenschaft treibt ihn, wie es sich für einen Briten gehört, auch jeden Abend in den „pub“, und so haben wir uns manchen Abend den Tisch im To Corali geteilt, aber über den „pub-talk“ längst nicht alles diskutiert, was ich mit dem Autor des Buches diskutieren wollte. Durch das Buch lernt man ja viele seiner Nachbarn im Dorf kennen, und man taucht ein in Hintergründe, die einem sonst verschlossen bleiben würden. Aber ich habe – beispielsweise – immer noch nicht erfahren, woher Roger George Psychoundakis kennt (Autor von „The Cretan Runner“ und im 2. Weltkrieg Assistent von Patrick Leigh Fermor), oder ob seine Begegnung mit Melina Mercouri mehr als zufällig war. Aber das kriege ich bald noch raus, und – falls Sie es auch wissen wollen – ich bin ja ohnehin ein Nachwort-Schreiber auf diesen Seiten …
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Ich will nur ein paar Details aus dem Buch anklingen lassen. Da ist „The Musician“, ein Portrait von Manolis Balaskas. Da ist die wunderbare Geschichte, wie Jinkinson sich gerührt für die hinterlistige Aussage eines Nachbarn bedankt, er sei jetzt ja kein Fremder mehr im Dorf, aber … als ‘Einheimischer’ müsse er jetzt natürlich auch eine Ikone für die Kirche stiften! Oder … haben Sie gewußt, wie schlau hier selbst ein Maultier sein kann?
„Crowds of tourists gather here two times a day. (…) Someone, a Swede, or a German, gathers them up, puts them on a bus and off they go to another village in the mountains for an authentic experience. In the evening they return with their authentic souvenirs and their authentic memories.” (“The Mule”)
Und wenn Sie sich über das Selbstbewußtsein der Frauen in den Dörfern wundern, Roger Jinkinson weiß: ”We don’t have women here we have commandos.” Mal ist es komisch, mal ist es traurig, oft beides zugleich, und Roger Jinkinson hat einen präzisen lässig-lakonischen Ton. Kein Wort zuviel, kein Wort zu wenig.
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Und er kennt sich aus. Nicht nur in der Küche vom To Corali weiß er, was läuft. Michalis hätte mir zum Beispiel nie die Version von ‘Patsas’ angeboten, die im To Corali gekocht wird, eine Suppe aus Ziegen-Innereien … Leber, Herz, Lunge, Hirn und Zunge, mit Zitrone und Knoblauch. Die kriegte zunächst nur Roger Jinkinson. Ich hatte dann am nächsten Tag eine aufgewärmte Portion. Aufgewärmt ist aber angeblich noch besser …
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Und jeder, der deutsch sprach, kriegte natürlich sofort erzählt, daß sein Buch auch ins Deutsche übersetzt sei, ja, gerade jetzt! Es ist allerdings schon im April 2011 in Deutschland erschienen … egal, Roger Jinkinson vermarktet sich so gut er kann vor Ort. Sie werden ihm nicht entgehen, wenn Sie dort sind, Roger ist der, der immer ein wenig lauter lacht als die anderen …! Obwohl es sich nicht wirklich lohnt … die Tavernen in Diafani verkaufen zwar alle seine Bücher, aber sie „vergessen“ ja immer, mit ihm abzurechnen.
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Er hat ja recht mit seiner Selbstvermarktung! Ich siebe ständig den Markt auf griechenlandbezogene Neuerscheinungen und hatte noch gar nichts bemerkt von dieser deutschen Ausgabe. Die edition galini ist ja auch nicht gerade eine Macht am deutschen Verlagsmarkt; der Verlag von Manfred Jung und Gisela Preuß aus Bad Vilbel spezialisiert sich auf Veröffentlichungen aus und über Karpathos. Da ist viel Liebe zur Sache im Spiel, aber da tritt man natürlich nicht mit der Champagner-Kanone bei der Frankfurter Buchmesse auf.
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Tales from a Greek Island
Roger Jinkinson
Racing House Press / Electric Book Co., 2005
ISBN-10: 1843279975
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Geschichten von einer griechischen Insel
Roger Jinkinson
edition galini, April 2011
ISBN-10: 3981439601
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WEITER MIT  KARPATHOS DER NORDEN
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WEITER MIT  NUR HALB ZURÜCK AUS MARYLAND
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WEITER MIT  GANZ EUROPA IST VON IKEA BESETZT …
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WEITER MIT   DER VIERTELRUNDWEG
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WEITER MIT   WENN ICH MAL GROSS BIN …
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WEITER MIT  VROUGOUNDA, ELF STUNDEN
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16 comments

  1. “Thanks for all the fish.” So dankt Roger Jinkinson den Leuten von Diafani. Ja, ich wollte ihn auch nach seinem Ironie-Verständnis fragen …
    Der In-Greece-Beitrag war mal wieder von dir, ja ja … 🙂 … und was der Martin dazu schrieb, stimmte auch so einigermaßen. Mit dem Geschichtswissen (und dem Sagenwissen dazu) geht Roger Jinkinson … sagen wir mal … lässig um. Und man muß den Herrn auch nicht Patrick LEE Fermor nennen …
    Aber trotzdem empfehle ich das Buch (obwohl ich die deutsche Übersetzung nicht gelesen habe … und ja, “tales” sind ja nicht unbedingt nur “Geschichten”, tales haben ja schon was märchenhaftes …).

  2. Müsste in deinem Bücherregal stehen. Mitbringsel aus Archontikon Oros.
    PS du darfst mein Äußerungen hier auch gerne wieder löschen wenn sie dich nerven.

  3. Wie kommst du darauf, daß du nervst? Und du bist sicher, daß ich das Buch haben müßte …? Das Buch habe ich garantiert nicht. Hab es gerade bei amazon aufgerufen … nie gesehen!

  4. Ich hab das Bücher-Chaos bei mir zu Hause durchgepflügt … ist mir ja peinlich, peinlich, peinlich, liebe Katharina … ich zitiere noch mal aus der mail, die ich an dich geschrieben hatte: “Früh-Alzheimer im Meer der Vergeßlichkeit”, so ist es … also ich habe das Buch, und so, wie der Einband verzogen ist, habe ich es 2010 sogar von hinten bis vorne gelesen … aber ich habe seine Existenz total verdrängt. Kannst du mir noch mal verzeihen?

  5. Nö, absolut nicht … 🙂 … ich lese gerade wieder drin. Hab ein paar vertraute Sachen gefunden und ein paar Sachen, von denen ich keine Ahnung hatte … ein paar nette Druckefähler gibt’s auch.

  6. Sag ich doch, daß Katharina mein Gedächtnis ist. 🙂 Sie hat Post von mir vom 25.02.2010. Darin steht über das Buch von Manfred Jung:
    “Das Karpathos-Buch ist ja nett, ich hab’s schon durch (…) aber daraus hab ich wieder nur gelernt, daß es vielleicht doch mindestens 15 Jahre zu spät ist, da hin zu fahren …?”

  7. Hallo Theo –

    Schön zunächst, mit Jinx zu sprechen, er scheint sich hier gut auszukennen, und sein Griechisch ist doch soooo phänomenal gut, nicht?! Und man fühlt sich doch irgendwie geschmeichelt, mit einem derart bescheidenen und zurückhaltenden echten Briten in Kontakt zu kommen.
    Man kann mit ihm wirklich schön reden, auch über gewisse “topics”, selbst Musik, wenn man nicht tief schürft, obwohl er eher Wirtschaftler ist.
    Sein Griechisch ist für die lange Zeit, die er hier gelebt hat, tatsächlich “absolutely poor”, eigentlich grauenhaft schlecht, so mancher Diafaniote lacht seit Jahren hinter vorgehaltener Hand laut darüber.
    Der Gute wechselt nach einer oder zwei Floskeln sofort ins Englische über, und sein mächtiges Lachen setzt er noch dazu geschickt ein, um seine fehlenden Kenntnisse zu verharmlosen. Hast Du bemerkt, dass ihm meist ein Schatten in Form eines ihm treu ergebenen Griechen folgt, der alle aufkommenden sprachlichen und sachlichen Probleme sofort entschärft?
    Neuerdings läuft Roger mit einem Fernglas durchs Dorf, um auf mittlere Entfernungen alles mitzukriegen, der Schurke.
    Ich hab ihm diesen Juni vom Dach auf Nikos’ Hotel aus eine kleine Komödie vorgespielt, er begierig vom Ende der Zufahrtsstraße am Ortsstrand aus eifrig Fernglas gekuckt, ich auf dem Dach rumgehüpft, mich plötzlich klein gemacht und mit einem jähen Satz verschwunden, ich Troll!
    Seitdem spricht er nicht mehr mit mir …..
    Und glaub ihm nicht in Sachen “Mai bis Oktober 2012 in Diafáni”. Schon Anfang Juni (ich habs miterlebt) hat er sich für eine Erholungspause nach London abgesetzt.
    Jinx ist schon eine Schau – ich denke, so ziemlich die größte, die Diafáni je zu bieten hatte.

    Liebes Grüßle und Danke für Deine hübschen Artikel!

    MartinPUC

  8. jassou, zurück zum buch: habe das buch jetzt im mai in den regentagen auf samothraki gelesen. kann es empfehelen, auch für nicht karpathos-besucher, wie mich sehr interessant. in jedem kapitel das nur einige seiten lang ist, erfährt man viel über die menschen auf karpathos und dem schweren leben von früher, und einige anekdoten.

    schöne grüße aus hamburg

  9. Inzwischen ist der zweite “Band” der Geschichten von einer griechischen Insel übersetzt erschienen:
    “Mehr Geschichten von einer griechischen Insel – eine Fortsetzung”
    Leider nur als ebook 😦 Ob ich mir doch mal nen Reader zulege?

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