Pergamon und Carl Humann

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Laurentiusweg, Essen-Steele. Jahrelang mußte ich an diesem Torbogen vorbei, auf dem Weg zur Laurentius-Grundschule eine Straßenecke weiter: Der Eingang des Carl-Humann-Gymnasiums. Das Tor zum Hades. Der massive altertümliche Bau irritierte mich jedes Mal, der Gedanke an so schreckliche Dinge wie Philosophie, Altgriechisch, Latein, Physik. Wer Humann war, war mir noch ziemlich egal. Ein Ausgräber im Orient? Hm. Im Orient zählte für mich nur Karl May …

Und nein, meine Schulkarriere wollte ich keinesfalls in diesem Wissenschafts-Kindergefängnis verbringen. Tat ich auch nicht …

Der Gastwirtssohn Carl Humann, dessen Name das Gymnasium in Essen-Steele heute trägt, wurde 1839 in diesem Ort an der Ruhr geboren, in dem auch ich meine Kindheit verbrachte. Er wurde zunächst Eisenbahn-Ingenieur und besuchte dann die Bauakademie in Berlin. Wegen seiner Tuberkulose-Krankheit zog er bald weg aus dem feuchtkalten Berlin ins Osmanische Reich. Er arbeite dort an Vermessungs-, Ausgrabungs- und Bauvorhaben zwischen Samos und Palästina, am Euphrat, in Syrien, in Magnesia und Priene. 1896 starb er in Smyrna (Izmir). 1967 wurde sein Grab auf den Burgberg von Pergamon verlegt.

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Im Winter 1864 besuchte er zum ersten Mal das äolische Küstenland. “Für einen Zögling der Bauakademie, der seine halbe Zeit mit Zeichnen nach der Antike im Museum verbrachte” war der Ausflug ins Hinterland nach Bergama zwangsläufig. Er ritt fünf Stunden nach Osten, bis “… eine Stunde, bevor man die Stadt erreicht, die hohe Akropolis von Pergamon in der Ferne breit und majestätisch vor mir lag.”

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Der Burgberg von Pergamon, vom Asklepion aus gesehen

Als sich 1985 die Chance eröffnete, mit einem Tagesausflug von Lesbos aus derselben Strecke zu folgen … wenn auch auf asphaltierten Straßen in einem banalen Touristenbus … wollten wir uns diese Chance nicht entgehen lassen. Inzwischen war meine Einstellung zur Humann und zur Antike auch eine andere. (Das Klima zwischen Griechen und Türken war damals schlecht, wie üblich. Man kam man sich nach den Hinweisen des griechischen Reiseleiters vor, als müsse man an der Grenze quer durch die Mauer nach Ostberlin “ins böse Feindesland” …)

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Aber immerhin grüßte der Hafen von Ayvalik die Touristen von der Insel mit dem handgemalten “Willkommen Sie”-Schild, bevor es fette rote Stempel in den Paß gab. Und nett waren die Türken auch, ob mit oder ohne Uniform. Ein schneller Zwischenstop für das Asklepion im Tal und dann rauf auf den Berg. Oben eine gewisse Enttäuschung, denn die wichtigsten Funde waren ja nicht mehr vor Ort. Sie wurden zwischen 1878 und 1886 direkt nach den Ausgrabungen in aufwendigen Aktionen auf Holzschlitten zur Küste geschleift und auf deutsche Kriegsschiffe zum Versand nach Berlin verladen …

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Was die Kalkbrenner vom Athene Tempel ließen …

Carl Humann hatte zunächst Schwierigkeiten, aus Deutschland die Mittel für die Ausgrabung zu erhalten. Er hatte zwar Ausgrabungserfahrung, aber in den akademischen Kreisen galt er immer noch als Dilettant. Zunächst konnte der Levante-assimilierte Ingenieur, der mit den lokalen Straßenräubern wie mit dem Großwesir Fuad Pascha gut befreundet war, noch nicht mehr erreichen, als daß die Kalkbrennerei aus den Marmorresten auf dem Berg verboten wurde.

Die Faszination Humanns für den Ort kann man heute noch nachfühlen. Mich faszinierte besonders das alte Theater, das atemberaubend steil zur Neustadt Bergama abstürzt. Humann mußte diesen Abhang zwischen dem Athene- und Zeustempel noch ignorieren. Die Tempelreste waren viel wichtiger. Und rekonstruierte antike Theater gab es ja auch zu seiner Zeit schon genug. In seiner Karte von 1881 ist das Theater gar nicht eingetragen.

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Karte aus Humanns Arbeitsbericht von 1881

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Mittag. Gebetszeit. Der steife Wind aus Westen trägt zu uns den Klang den Berg hinauf. Zum allerersten Mal höre ich den windverzerrten Ruf von den Minaretten, mit den Füßen auf vor zweitausend Jahren gehauenen Mauersteien … ich war vom Zufall dieser Inszenierung schwer beeindruckt …

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KURZER FAKTEN-NACHTRAG (mit Dank an Meyers Lexikon, aus deren Texten ich hier meinen zusammenfasse):

Pergamon liegt an der Stelle der heutigen Stadt Bergama in der Türkei. Pergamon war Hauptstadt des Pergamenischen Reiches, das unter König Eumenes II. im 2. Jahrhundert v.Chr. eines der mächtigsten Reiche Kleinasiens war. Der letzte König, Attalos III. (gestorben 133 v. Chr.), vermachte es testamentarisch den Römern. Die aus einer Bergfeste entstandene Stadt reichte in der Königszeit bis zum Fuß des Berges. Über dem Markt der Oberstadt erhob sich der Zeusaltar (Pergamonaltar). Daneben lag der dorische Athenetempel, das Hauptheiligtum der Stadt, dessen Bezirk Attalos I. mit Bildwerken schmückte. Eumenes II. umgab ihn mit einer Säulenhalle; hier befanden sich die berühmte Bibliothek (die im 1. Jahrhundert n. Chr. 200 000 Schriftrollen besaß). Durch Ausgrabungen wurden die Tempel, der Königspalast, das Theater (10 000 Plätze) u.a. freigelegt, auch Teile der römischen Stadt in der Ebene. Außerhalb von Pergamon lag das wohl im 5. Jahrhundert v. Chr. gegründete Asklepiosheiligtum. Im 2. Jahrhundert n. Chr. arbeitete dort der Arzt Galen.

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Pergamon Akropolis Rekonstruktion

Der Pergamonaltar, von Eumenes II. im 2. Jahrhundert v.Chr. errichtet, ist ein dem Zeus und der Athene geweihter Monumentalaltar. Den fast quadratischen Unterbau (36 × 34 m) mit einer etwa 20 m breiten Treppe zum Oberbau verziert ein 120 m langer, 2,30 m hoher Figurenfries. Auf dem Sockel verläuft eine ionische Säulenhalle. Der Skulpturenfries zählt zu den Hauptwerken hellenistischer Kunst.

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Der Pergamon Altar im Berliner Museum

Literatur:
Dr. Helga Mohaupt “Von Steele nach Pergamon – Carl Humann und die Wiederentdeckung des Pergamon-Altars”, S. 17-27 in Jahrbuch Essen 1989, Pomp-Verlag/Essen

Weitere Infos:
Berlinische Monatsschrift 2/99, Dietrich Nummert:
“Pergamon wurde seine Passion – der Ingenieur Carl Humann”
Humann/Conze/Bohn: Pergamon Ausgrabungen
“Arbeitsbericht von 1881” (online bei Uni Heidelberg)

“Carl Humann Biographie”
(Bayrische Staatsbibliothek)
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