Tinos 2015 – Hafenort und Image

Die Stadt Ermoupoli, schräg gegenüber auf Syros, sei wie München am Meer! Sagte Gottfried Heinrich von Schubert, 1837. Und Tinos … halt …
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Selbstzensurvermerk … 🙂 … Hier stand zuerst ein Text, der dem Image des Hauptortes von Tinos, Chora, nachstellte. Aus der Sicht eines Ruhrgebietsbewohners. Der Text kam mir aber am nächsten Tag so konfus vor, daß ich ihn selber nicht mehr lesen wollte. Und auch nicht mehr verbessern wollte.
Ja, da stand was über Bochum und das Bermudadreieck und das Schauspielhaus, und es war nicht einmal negativ gemeint. Über solche Dinge denkt man nur nach, wenn man im Ruhrgebiet lebt, das (von innen) mal als “Metropole” und (von außen) mal als “Provinz” dargestellt wird.
Also Schluß mit den Weltkulturerbe- oder Dorfkulturerbe-Überlegungen, Schluß mit Grönemeyer und Schimanski, ist doch alles nur Image-Theater …
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Gut … neuer Start … Chora hat auch zwei Mal im Jahr ganz großes Theater, im März und im August, wenn man zur Panaghia wallfahrtet. (Das ist in der Regel alles, was die Welt von Tinos weiß.)
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TAMA August
Aus TAMA 2013, Foto: Eleni Foskolou
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Ich komme ja nie im August, ich komme quasi immer zur „falschen“ Zeit, im Winter oder im Frühsommer. Wenn die Tage lang sind, wenn der frische Wind weht, wenn man unter zivilen Bedingungen übers Land kommen kann.
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Wenn sich die Blue-Star-Fähre Chora, dem eher farblosen Hafenort von Tinos, nähert, bahnt man sich seinen Weg zum Ausgang immer durch die zahlreichen freizeituniformierten Passagiere, von denen man schon in Piräus weiß, daß sie alle eine Station weiter wollen, nach Mykonos.
(Wer auf Tinos wohnt, nimmt den Weg über Rafina.)
Bei der Einfahrt in den vorherigen Hafen, Ermoupoli, haben die Blue-Star-Passagiere noch hektisch in alle Richtungen  fotografiert … schau mal, das bunte Leben da unten … aber hier sieht man ihnen an, daß sie froh sind, an diesem Ort nicht vom Schiff zu müssen. Ich finde das jedesmal erlösend. Verlasse das Schiff, laufe eilig an der glanzlosen Front entlang, ohne groß nach links oder rechts zu schauen, und biege ab in den Abzweig, wo Kostas schon meinen Zimmerschlüssel herausgelegt hat:
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Tinion Kostas Ron
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Kalimera, Theodoros. Kala …? Kala!
Zu Hause, jedenfalls so gut wie zu Hause!

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Der neue Fährhafen von Chora ist “funktional”, aber ein Alptraum aus Beton, eine ästhetische Katastrophe. Die ganze Hafenfront verstellt nur den Blick auf den wirklichen Reiz der Insel. Aber da muß man durch …
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Tinos erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Also … vielleicht heute mal ein maitypischer Spaziergang im Tal von Potamia …?
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Potamia Tinos
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Ja, ganz klassisches Tinos …
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Potamia Tinos Taubenhaus
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… wo der uralte Terrassenpfad durch schmale Felder und Wiesenhänge führt …
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Potamia Wanderweg
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… entlang an unzähligen Kapernbüschen, die im Mai ihre Knospen zeigen:
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Tinos Kapern
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Und man ist natürlich nicht der erste hier in dieser Woche. (Unten rechts im Foto, da sieht man es, da hat man schon angefangen, die ersten Knospen abzuknipsen! Die kleinsten sind die besten!)
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Uns vertreiben die ersten schwarzen Wolken des Unwetters, das von Südwesten heranzieht. Bis zum frühen Morgen blitzt und donnert es wie am Jüngsten Tag, der Regen führt Unmengen Saharastaub mit sich. Meine sonst strahlendweiße Terrasse am nächsten Morgen:
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Tinion Hotel Saharastaub
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Aber es wurde schon superemsig gewischt und gefegt, damit draußen gefrühstückt werden kann:
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Tinion Hotel Terrasse
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Erneut ein vorbildlicher Tag. Syros am Horizont. Draußen vor dem alten Hafen liegt eins der superedlen Kreuzfahrtschiffe, ein Viermaster, der seine Gäste im Beiboot nur mal kurz und ganz diskret zur Wallfahrtskirche auf die Insel exportiert:
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…………Tinos Alter Hafen
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Aber was interessiert uns die Wallfahrtskirche?
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Lizeta Kalimeri Poster
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Wir wollen am Abend ins Konzert, ins Café „Kyriakatiko“, gleich unterhalb von Elenis Taverne („To Koutouki Tis Elenis“), da spielt Lizeta Kalimeri, die Schwester von Melina Kana. In kleiner Besetzung, aus der allerdings nur Thanasis Zacharopoulos, der Gitarrist, hervorragt … und ja, Rauchen beim Singen geht:
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Lizeta Kalimeri Band Tinos
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Lizeta Kalimeri Konzert
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Wenn Sie jetzt irritiert aufs untere Bild schauen … Lizeta Kalimeri ist ja nicht irgendwer, sie hat ein gutes halbes Dutzend Alben und zwanzig Jahre Berufserfahrung im Rücken, hat mit einer Reihe von bekannten Leuten gearbeitet:
LIZETA KALIMERI DISKOGRAFIE
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Und sie spielt hier vor 80 Leuten (volles Haus). Eintritt …? Frei. Es gibt nur einen Aufschlag auf die Getränkepreise.
Man beachte die Nase des Nina Sonnenberg Doubles ganz links … 🙂 …:
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Lizeta Kalimeri Konzert Tinos
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Ja, wenn man in der Hochsaison auf die Insel kommt, dann erlebt man das öfter (als im Mai). Dann spielen auf Tinos Leute wie Giannis Kotsiras, Evanthia Remboutsika, Lavrentis Mahairitsas, Nikos Portokaloglou … gut, nicht unbedingt im Café und umsonst, aber bei Ticketpreisen von 12 oder 15 Euro ist es ja heutzutage so gut wie umsonst.
Es gibt Theatergastspiele (selbst ein Minidorf wie Volax hat eine Freilichtbühne), ein Jazz- und ein Weltmusikfestival, dort nicht so große Namen, aber angeblich große Qualität …
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Und es gibt TAMA, ein jährliches Insel-Magazin, das sich hauptsächlich mit den Bereichen Kunst und Kultur, soziales Leben, lokale Produkte und Persönlichkeiten usw. usw. auseinandersetzt.
Großformat 27×34 cm, 140 Seiten, superedel und wunderbar unaufgeregt gestaltet.
„A minimal aesthetic without unnecessary elements“, das streben die Heft-Gestalter an.
TAMA ist erst zwei Mal erschienen, im Sommer 2013 und im Sommer 2014.
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Im Mai arbeitete man gerade an der Ausgabe von 2015. Jedenfalls war Eleni Theodorous Nichte Evelin Foskolou eifrig mit der Kamera unterwegs. (Ja, sie ist Profi-Fotografin, aber Tinos-Besucher kennen sie wahrscheinlich eher daher, daß sie in Elenis Taverne kellnert.) Hoffentlich läßt sich das Projekt unter den heutigen finanziellen Umständen realisieren!
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TAMA Titelseiten
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Die Redaktion leitet Maya Tsoclis, hellasbekannt als Reisejournalistin aus dem griechischen Fernsehen.
Siehe:  TDX MAYA TSOCLIS
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Maya Tsoclis ist liiert mit dem Inhaber und Bier-Experten der lokalen Microbrauerei Nissos, Alexandros Kouris, und Tochter des erfolgreichen Malers und Multimedia-Künstlers Costas Tsoclis.
Er hat 2011 in der ehemaligen Grundschule des Dorfes Kampos auf Tinos ein privates Museum für Moderne Kunst eingerichtet (dessen Website ich allerdings inzwischen nicht mehr erreichen kann).
Siehe also:  WIKIPEDIA COSTAS TSOCLIS
und auch:  TINOSECRET TSOCLIS MUSEUM
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TAMA Koutouki EleniTAMA, für eine Insel wie Tinos alles in allem heute doch ein gewagtes Projekt.
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Langfristig soll sich das kostenlose Magazin nämlich durch Anzeigen finanzieren. (Die Zahlungsmoral des griechischen Mittelstandes soll manchmal zu wünschen übrig lassen, hörte ich …)
Aber schon jetzt präsentiert man gerne mögliche Anzeigenkunden im redaktionellen Teil.
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Und wird sich auf der Insel immer genug an Ereignissen finden, über die es zu berichten lohnt? Noch gibt es Themen im Überfluß, aber …
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TAMA Nissos Werbung
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Der Sponsor versteckt sich nicht: Die Rückseiten der Umschläge der ersten beiden Ausgaben von TAMA. Das Bier wurde vor kurzer Zeit in Bayern preisgekrönt, seine „Pilsner-Brauart“ trifft aber nicht meinen Geschmack … aber zur Zeit experimentiert die Brauerei mit einer helleren, leichteren „Lager“-Sorte … wenn ich das hier überhaupt mitteilen darf … das lokale Gastgewerbe durfte bereits probekosten.
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Das Magazin konzentriert sich fast völlig auf ein griechisches Publikum, auf eins mit Anspruch, und nicht auf den internationalen Tourismus. Nur einige der wichtigsten Artikel haben am Rande eine knappe englische Zusammenfassung des Inhalts.
Die komplette Ausgabe von 2014 finden Sie hier – alle 140 Seiten:
> http://somethink.gr/TAMA-2
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Blättern Sie mal durch, auch wenn Ihre Griechisch-Kenntnisse (so wie meine) überhaupt nicht ausreichen! Und in dieser Ausgabe sind auch die Fotos von Giorgos Kardakis, die im äußersten Norden von Tinos, im Grünen-Marmor-Steinbruch, gemacht wurden.
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TAMA Grüner Steinbruch
Aus TAMA 2014, Foto: Giorgos Kardakis
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Nun ja, wenn Sie sich außer für große Mode auch noch für große Steine interessieren, dann dürfen Sie jetzt „weiterblättern“:
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> WEITER MIT: TINOS 2015 – DER GRÜNE STEINBRUCH
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3 comments

  1. Noch ein Nachtrag zum Tal von Potamia (siehe oben).
    http://www.tinosecolodge.gr
    Auf unserer Mai-Wanderung wollten wir eigentlich kurz bei den Besitzern der beiden Häuser reinschauen, die einen umweltverträglichen Aufenthalt auf Tinos ermöglichen. (Der Besuch sollte nur kurz sein, denn die “ecolodge” war noch eine große Baustelle.) Aber es war niemand zu Hause.
    Seit August 2015 sind die beiden Häuser zu vermieten. auch im Winter, und die o.g. website ist sehr informativ (deutscher Text), klar und übersichtlich.
    Wenn Sie allerdings nicht sehr sehr gut zu Fuß sind, oder ganz als Einsiedler leben wollen, brauchen Sie beim Aufenthalt in diesem abgelegenen Tal ein Fahrzeug. Naja, 100% eco geht eben nirgendwo …

  2. Inzwischen habe ich auch die dritte TAMA-Ausgabe (2015). Danke, Günter und Monika. Ich kann mich nur mit der äußeren Erscheinung des Magazins kritisch auseinandersetzen. Diesmal würde ich sagen: Teilweise zu viele, zu kleine und zu finstere Fotos. Statt briefmarkengroßer Abbildungen hätte ich lieber gar keine.
    Und der Natur-Fotograf, der die Wanderung von Falathados nach Livadha illustrieren sollte, hatte ständig die Shorts seiner Begleiterin vor der Kamera. Sicher, ist ja auch Natur … 🙂 … na egal, ich bin gespannt auf die nächste Ausgabe!

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